Eine Wunde für Körper, Seele und Geist - Phasen des Traumas und Schritte zu dessen Überwindung.

Blog 4 Trauma patient practicing at Lake Michigan

Blog-Artikel von Mary Ruud, Milwaukee, USA

Trauma gibt es schon so lange wie die Menschheit auf der Erde.

Kriege, Gewalt und Naturkatastrophen sind Teil unserer gemeinsamen Geschichte, doch Therapien für Traumata wurden in der westlichen Medizin erst in den 1980er Jahren entwickelt, als man begann, posttraumatische Belastungsstörungen offiziell zu diagnostizieren. Inzwischen haben fast alle Therapeuten und Lehrer eine Ausbildung für den Umgang mit Traumata.

  • Ein Trauma kann ganze Gruppen von Menschen betreffen, wie bei Erdbeben, Tsunamis, Wirbelstürmen und Tornados, internationalen Katastrophen, die sich in unserer Zeit häufen.
  • Es kann von Generation zu Generation weitergegeben werden, wie bei Missbrauch in der Familie.
  • Sie kann in Gruppen erlitten werden und mehrere Generationen betreffen, wie beim Holocaust, der versuchten Ausrottung der indigenen Völker oder der amerikanischen Sklaverei.
  • Vorurteile und ungerechte soziale Systeme können ein anhaltendes Trauma verewigen.

Führende Traumaforscher sind sich einig, dass jedes Trauma physiologische Auswirkungen hat.[i] Es wird davon ausgegangen, dass ein Trauma Körper und Seele beeinträchtigt und sich im physischen Körper festsetzen kann. Achtsame Meditation, Massage, Yoga, Bewegung und Tai Chi werden als Teil des Heilungsprozesses empfohlen. 

Vier Phasen der Traumareaktion

Bernd Ruf, Leiter der Notfallpädagogischen Ambulanz am Parzival Kompetenzzentrum in Karlsruhe, unterscheidet vier Phasen im Verlauf von Traumareaktionen. [ii]

Zunächst die akute Phase, der Notfall. Diese ist der Schock und dauert einige Sekunden bis Tage. Körperliche Symptome können Schütteln, Übelkeit, Schweissausbrüche, Schüttelfrost, Hyperventilation, Harndrang oder Verschmutzung, Hyperaktivität oder Erstarrung sein. Es kommt zum Verlust des Zeitgefühls und der Wahrnehmung des Raumes. Man kann sich von seinem eigenen Körper getrennt fühlen.

Zweitens: eine posttraumatische Belastungsreaktion. Dies ist immer noch eine akute Phase und dauert etwa eine Woche oder länger. Kopfschmerzen, Rückenverspannungen, Ess- und Verdauungsstörungen, Gedächtnisprobleme, Schuld- und Schamgefühle, Panikattacken, Wut und Aggression oder sozialer Rückzug. Das Immunsystem ist geschwächt und es kann zu einer Anfälligkeit für Infektionen kommen. In dieser Phase versucht der Mensch, sich selbst zu heilen, es sind normale Reaktionen auf abnormale Erfahrungen. Wenn das Trauma verarbeitet ist, treten Stressreaktionen immer seltener auf und können verschwinden. Die Notfallpädagogik ist keine Therapie, sondern eine pädagogische "Erste Hilfe" und konzentriert sich auf die zweite Phase des Traumas, die posttraumatische Belastungsreaktion.

Drittens: die posttraumatische Belastungsstörung. Wenn die Probleme bestehen bleiben oder sich verschlimmern, liegt eine traumabedingte Störung vor. Jedes Symptom kann sich zu einer eigenen Störung entwickeln: Depressionen, Angstzustände, Schlafstörungen, motorische Probleme und Schwierigkeiten bei der Impulskontrolle. Die Symptome entstehen durch Reize oder Auslöser, die Erinnerungen an die belastenden Erlebnisse hervorrufen. Von jeder Sinneserfahrung können überwältigende Erinnerungen ausgelöst werden, die eine Person wieder in die Schockphase versetzen. Die emotionale Haut ist von Löchern durchzogen. Die Lebenskraft durchdringt die körperliche Organisation nicht ausreichend. Das Kind unternimmt dann grosse Anstrengungen, um seine Entwicklung voranzutreiben, sein zartes Kleinkindbewusstsein zu überwinden und eine freie Vorstellungskraft mit strukturiertem Bewusstsein zu erreichen. Massive Lernschwierigkeiten können die Folge sein.

Vierter Schritt: dauerhafte Persönlichkeitsstörungen. Chronische Posttraumatisierung führt schliesslich zu Persönlichkeitsveränderungen. Soziale Isolation, Selbstverletzungen und Gewalt können sich entwickeln. "Die Biographie droht zu zerbrechen." Es kann lange Phasen der Normalität geben, wobei die Störungen aber auch nach Jahren wieder auftreten können.

Trauma aus entwicklungspsychologischer Sicht. 

Traumaschäden manifestieren sich in verschiedenen Lebensabschnitten unterschiedlich. Die Fähigkeit, ein Trauma zu bewältigen, hängt von der biologischen, emotionalen und sozialen Reife ab. 

Zwischen der Geburt und dem siebten Lebensjahr schädigen Traumaerfahrungen vor allem die Verbindung zwischen dem physischen und dem ätherischen Leib, dem Lebensleib. Besonders betroffen ist das metabolische Gliedmassensystem. Es ist wichtig, die grundlegenden Sinne des Kindes, (Tastsinn, Leben, Bewegung und Gleichgewicht) durch Nachahmung und rhythmische Aktivitäten zu stärken. 

In der zweiten Lebensphase, im Alter von sieben bis vierzehn Jahren, wirkt sich das Trauma besonders auf die Beziehung des Lebensleibs zum Seelen- oder Astralkörper und auf das rhythmische System aus. Jede künstlerische Tätigkeit kann da eine heilende Wirkung haben. 

In der dritten Entwicklungsperiode, der Pubertät und Adoleszenz, betrifft das Trauma vor allem die Beziehung der Seele oder des Astralleibs zum Selbstgefühl, dem Ego oder Ich. Der Astralleib kann zu tief in das metabolische Gliedmassensystem eindringen oder sich nicht ausreichend verbinden. Hier helfen soziale Aktivitäten, klares Denken und die Arbeit mit Idealen.

Die Erforschung des Traumas wird fortgesetzt 

Wenn die Manifestationen des Traumas auftauchen, kann sich der Mensch unwohl fühlen, unerwartete Schmerzen oder unvorhersehbare Reaktionen zeigen. In der Eurythmie haben wir die Objektivität und Universalität der Laute selbst, die einen schützenden Einfluss ausüben. Wir haben rhythmische Abläufe, um die natürlichen Rhythmen wieder aufzubauen, Konsonanten, um beschädigte Strukturen wiederherzustellen, und Vokale, um die im Gefühlsleben gespeicherten Erinnerungen zu bewegen und loszulassen. 

Die Erforschung des Traumas wird fortgesetzt. Zum Beispiel in der Eurythmy4you Online-Konferenz über posttraumatisches Wachstum. Ein internationales Gremium von Referenten und Workshop-Leitern berichtet, was sie entdeckt haben, oder wie sie selbst lernen mussten, eigenes Trauma zu überwinden.

Eurythmy4you Trauma Konferenz
Traumatherapie und posttraumatisches Wachstum
Theorie, Erste Hilfe und komplementäre Therapie
Konferenz Proceedings - Videos der Vorträge und Workshops


Artikel von Mary Ruud für den Newsletter der ATHENA Association for Therapeutic Eurythmy in North America. Übersetzung Theodor Hundhammer. Bild: Traumapatient beim Üben am Michigansee.


[i] Van der Kolk, MD. The Body Keeps the Score, Brain, Mind and Body in the Healing of Trauma
Peter Levine Waking the Tiger, Healing Trauma
Remsaa Menakem, My Grandmother’s Hands, Racialized Trauma and the Pathway to Mending our Hearts and Bodies
Stephen W. Porges, The Polyvagal Theory, Neurophysiological Foundations of Emotions, Attachments, Communication, Self-Regulation

[ii] Bernd Ruf, Educating Traumatized Children, Waldorf Education in Crisis Intervention (Publicationen von Bernd Ruf)

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